Statt Strenge - Verstehen, Einfühlung und Humor

Ich arbeite als Kindergärtnerin im Kinderspital Zürich. Kranke, aber mobile Kinder besuchen den Kindergarten zwischen 9 und 11 Uhr. Seit zwei Wochen kommt die 5-jährige Sandra zu mir in den Kindergarten. Auf der Abteilung widersetzt sie sich öfters bei pflegerischen Handlungen: sei es beim Waschen, beim Zähne-Putzen usw. Sandra ist das jüngste Kind von drei Geschwistern. Die Eltern sind berufstätig und haben nicht viel Zeit für ihre Kinder.

Immer wieder gelingt es Sandra, die Schwestern im Spital zu schikanieren und die Aufmerksamkeit negativ auf sich zu ziehen. Bei einer Anforderung oder einem Wunsch, den man an sie richtet, nimmt sie eine verweigernde Haltung ein und findet es eine Zumutung. Neben ihrer Krankheit, welche sicherlich auch zu dieser Haltung beiträgt, hat sie als ein lebensstiltypisches Merkmal gelernt, sich zu verweigern, auf Forderungen nicht einzugehen: So verweigert sie im Kindergarten beispielsweise, sich beim Znüni-Essen zu setzen, von ihr gebrauchte Spielsachen aufzuräumen usw. Verweigerung scheint ihre einzige Waffe zu sein, bei Handlungen und Abläufen die Oberhand zu behalten. Auch ich bin etliche Male auf dieses Muster 'hereingefallen': Ich habe mit ihr gesprochen, mich um sie auf vielerlei Art und Weise bemüht, sei es in einem bestimmten Ton, sei es mit Charme.

Wieder einmal wollte ich sie bitten, mir beim Abwischen des Tisches zu helfen. Vorher überlegte ich mir eine andere Strategie. Den Ablauf des Gespräches wollte ich führen und innerlich musste ich bereits schmunzeln. Ich wusste, dass es mit Strenge überhaupt nicht ging und ich wusste auch, dass sie gerne zu mir in den Kindergarten kam. An jenem Tag sassen 4 Kinder um den Basteltisch . Meine Worte überraschten sie: "Ja Sandra, dich kann ich ja nicht fragen." Ich schaute sie lange an und Sandra fragte mich, weshalb ich lache und weshalb ich sie nicht frage. Dabei musste ich auf einmal spontan lachen und sagte nur "wer weiss, vielleicht weisst du es." Sie war so gespannt und auf einmal musste sie auch lachen. Dann meinte sie, jetzt wisse sie es. Eigentlich wollte ich ihr noch erklären, warum ich lachte, aber es war nicht mehr nötig. Ab diesem Zeitpunkt hat sie sich bei Anforderungen kooperativer verhalten und wir haben uns jeweils in ähnlichen Situationen nur noch angeschaut und geschmunzelt. Erst in einem späteren Zeitpunkt habe ich dann mit ihr über diese Situation gesprochen.

Kommentar

Zum Gelingen trug sicherlich eine gute Beziehung zu Sandra bei. Ich bin mit Sandra nicht in den Kampf geraten und habe sie nicht abgelehnt. Oft beobachtete sie mich genau, wie ich auf andere Kinder zuging und wie ich mich ihnen gegenüber verhalten habe. Da Sandra zu Hause häufig zurechtgewiesen wurde, hatte sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet, war offenkundig überrascht, irritiert. Trotzdem wehrte sie nicht ab, sondern konnte mit der Zeit erfahren, dass es für sie so viel schöner wird - und sie deswegen überhaupt nicht zu kurz kommt! Ganz im Gegenteil: Die Kinder hatten sich zum ersten Mal persönlich ohne Aufforderung meinerseits bei ihr verabschiedet.

In meiner Arbeit mit kranken Kindern trägt sehr viel zum Wohlbefinden der kleinen PatientInnen bei, wie ich mich ihnen gegenüber verhalte. Oft sind sie durch ihre Krankheit empfindlicher, trauriger, oftmals auch schweigsamer. Oder ihr Verhalten ist schwieriger, ja manchmal auch destruktiv. Dabei ist es entscheidend, dass ich versuche, eine ruhige, positive und humorvolle Stimmung unter die Kinder zu verbreiten. Mit positiv meine ich: das Kind zu bestätigen und es grundsätzlich zu bejahen.