Den Schüler fragen statt strafen

Der Ruf nach mehr Disziplin hallt durch viele Schulhäuser. Wie aber sollen Lehrerinnen und Lehrer mehr Disziplin erreichen? Beim Vortrag von Professor Jürg Rüedi im Pfalzkeller wurde klar: Ein Zurück zur alten Züchtigung ist nicht empfehlenswert.
Jürg Rüedi ist vorsichtig. Der Dozent für Erziehungswissenschaften verspricht den Lehrpersonen im «Forum zum Feierabend» keine Patentrezepte und der Titel seines neusten Buchs besteht aus einer Frage: Wie viel und welche Disziplin braucht die Schule? Eindeutig sind die Grundgedanken, die er den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern mit auf den Weg gibt, und aufschlussreich zahlreiche Beispiele, wie aufmüpfigen Schülern im Klassenzimmer begegnet werden kann.

Richtig im richtigen Moment

Rüedi, der an der Pädagogischen Fachhochschule in Liestal doziert, macht deutlich, dass es viele Arten von Disziplin gibt, und er distanziert sich vom Bestseller «Lob der Disziplin» des deutschen Pädagogen Bernhard Bueb aus dem Jahr 2006. Nicht mehr die Rückkehr zur rabiaten Autoritätsperson ist erwünscht, die stur störende Schüler bestraft. Vielmehr gilt es für den Lehrer, sich der augenblicklichen Situation entsprechend geschickt zu verhalten.
Rüedi sagt, mit Störungen oder Zwischenrufen müsse gerechnet werden. In einem solchen Fall gelte es, sich nicht aus dem Konzept werfen zu lassen und den Unruhestifter zum Beispiel erst ein-mal nach dem Unterricht unter vier Augen zu sprechen. «Das ist er sich wahrscheinlich gar nicht gewohnt», sagt Rüedi.«Nun fragt ihn vielleicht zum ersten mal jemand, warum er sich so verhält.» Antinomisch heisst die Methode, wenn jemand nicht einfach stur nach Schema F handelt und bestraft.

«Sie sind eine Hure!»

Rüedi erwähnt ein weiteres Beispiel einer situativ richtigen Reaktion. Da rief ein Sekundarschüler der Lehrerin zu: «Sie sind eine Hure!» Statt entsetzt und persönlich beleidigt den Schüler aus dem Klassenzimmer zu schicken, sagte sie ruhig zu ihm: «Schreib auf, was du gesagt hast, und lass das von den Eltern unterschreiben.» Die Eltern machten mit und unterstützten die Lehrerin. Es könne auch reichen, dass ein Lehrer ein störendes Kind neben sich setzt. So bekomme es auf einmal Aufmerksamkeit.
Aber es braucht auch den Schüler, der mitmacht, der Selbstdisziplin an den Tag legt. Im Sport weiss er, dass es ohne die eigene Anstrengung nicht geht. In der Schule gilt es ihn spüren zu lassen, dass er wichtig ist für die Klasse.

Humor und Emotion

Neben Wertschätzung und geschickter Führung bewirkt nach Rüedis Ansicht ein guter Unterricht Disziplin im Schulzimmer. «Dabei ist nicht in erster Linie entscheidend, was eine Lehrperson sagt, sondern wie sie den Stoff vermittelt.» Humor und eine gute emotionale Kommunikation seien das A und O. Es gilt die Schüler in den Bann zu ziehen. Eine Lehrerin brachte Dynamik in die Schulstunde,indem sie jedes Kind genau 60 Sekunden reden liess. Jedes wusste, dass auf die Sekunde Schluss sein werde.

Als anderswo ein Schüler einwarf, dass die Erklärungsmethode des Mathematiklehrers kompliziert sei, habe dieser den Einwand mit der Klasse sofort diskutiert. Ein Deutschlehrer hingegen schrieb umständlich und unsicher sein Wissen, den Rücken der Klasse zugekehrt, auf die Wandtafel. Fragen der Schüler beantwortete er zynisch.

Rüedis Credo: Es nützt nichts, wenn ein ungehorsames Kind eins auf den Deckel bekommt. Besser ist, gemeinsam eine Lösung anzustreben. Das dauere oft lange, sei aber bereichernd. «Lehrerinnen und Lehrer haben nie ausgelernt, auch nach 30 Jahren nicht», sagt Jürg Rüedi.

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